Zweimal pulvern, einmal einbrennen
Die riesigen Baumaschinen der Wirtgen GmbH kommen weltweit zum Einsatz, vor allem im Straßenbau, aber auch im Tagebau. Dafür entwickeln Ingenieure im Stammwerk Windhagen Maschinen wie Bodenstabilisierer, Kalt- und Heißrecycler, Gleitschalungsfertiger oder Surface Miner. Eines haben all diese Giganten gemein: Sie sind den rauen Bedingungen auf Baustellen ausgesetzt. Daher nimmt die Lackierung dieser Maschinen für Hersteller Wirtgen einen besonders hohen Stellenwert ein. Rund 460.000 m² Oberfläche beschichtet das Unternehmen jährlich. Vor einigen Jahren investierte man in Windhagen in eine neue Großteilelackieranlage (GTA) mit Komponenten des Schweizer Herstellers MS Oberflächentechnik. Zuvor war bereits eine Durchlaufanlage, genannt DLA, aus zwei MS-Pulver-Automatikanlagen installiert worden. Damit stieg Wirtgen fast komplett auf die Pulverbeschichtung um. „Im Regelfall fahren wir mit der GTA und ihrer Doppelspur-Hängeanlage Teile bis 20 t, bei Dimensionen von 3 m x 3 m x 9 m“, erklärt Johann Kroheck, Leiter der Oberflächentechnik in Windhagen. „Sonderteile bis 30 t sind ebenfalls möglich. Vor allem die Pulverbeschichtung und die damit verbesserte Oberflächenqualität hat unsere Kunden überzeugt“, so Kroheck. Nur auf rund 13% der Oberflächen wird weiterhin ein 2K-Flüssiglack appliziert. Bis Jahresanfang wurde das Pulver in Windhagen in zwei Schichten appliziert, was auch zwei Durchgänge im Einbrennofen nach sich zog – ein zeit- und vor allem kostenintensiver Prozess, der auch logistisch aufwändig war.
PRÜFERGEBNISSE DES PiP-VERFAHRENS
- 1440 h Salzsprühtest DIN EN ISO 9227 (= C5): Unterwanderung < 4 mm
- 1440 h Kondenswasser-Konstantklima DIN EN ISO 6270-2 (= C5)
- Gitterschnitt, vor/nach beiden Belastungen: jeweils Gt0 (mit Klebebandabriss)
- Blasengrad (DIN EN ISO 4628-2: 0), Rostgrad DIN EN ISO 4628-3: RiO
- Xenon 2000 h: Farbton rot, DE-Abweichung <3, Glanzgradverlust <15%
Gefordert: Zwei Schichten ohne Zwischenvernetzung
Um die Abläufe zu verschlanken und Kosten zu sparen, diskutierten Kroheck und der Leiter des Wörwag-Kundenlabors, Jochen Reihs, immer wieder über Möglichkeiten eines Pulver-in-Pulver-Verfahrens, das ohne Zwischenvernetzung mit nur einem Einbrennvorgang auskommen sollte. Reihs, gelernter Lackchemiker, nahm die Gespräche zum Anlass, über die Voraussetzungen eines solches Systems nachzudenken und machte sich an die Arbeit: „Die Versuche für das PiP-Lacksystem liefen über ein Jahr“, berichtet er. In dieser Zeit erfolgten Versuche, Testreihen und Probelackierungen, bis sich eine Pulver-in-Pulver-Lösung (PiP) für Wirtgen anbahnte. Positiv auf die Entwicklung des PiP-Verfahrens wirkte sich bei Wirtgen der Einsatz der Tribo-Masterlanze der Behr GmbH aus. Bei dem Gerät handelt es sich um ein Applikationssystem, das über eine teleskopierbare Lanze mit einem sehr kurzen und
Die Tribo-Masterlanze im Einsatz: Dank der Winkelverstellmöglichkeit bis rund 45° des Sprühkopfs ist damit eine hohe Flexibilität beim Beschichten möglich.
beweglichen Tribo-Sprühkopf verfügt. Dank der Winkelverstellmöglichkeit bis rund 45° des Sprühkopfs ist damit eine hohe Flexibilität beim Beschichten möglich. Ist die Lanze komplett ausgefahren, können die Lackierer sogar in einer Höhe von maximal 4 m beschichten. Deswegen sind typische Einsatzorte der Tribo-Masterlanze große Werkstücke wie Baumaschinen, wie sie eben von Wirtgen produziert werden. „Trotz der kleinen Maße verfügt das Gerät über ein sehr hohes Aufladungspotenzial: Während herkömmliche Tribo-Pistolen für die Aufladung ungefähr 300 bis 400 mm Ladeweg benötigen, beträgt er bei der Tribo-Masterlanze rund 100 mm“, erklärt Hersteller Wolf Dieter Behr. Die Ladungsintensität des Tribo-Master-Sprühkopfs ist ebenso wie die Ausbringmenge an geladenem Pulver um einiges höher als bei konventionellen Tribo-Pistolen. Zudem können mit der Tribo-Masterlanze sehr hohe Schichtdicken in nur einem Arbeitsgang erzielt werden. Das Gerät wurde mehrfach – gerade auch in enger Absprache mit Anwendern wie Wirtgen – weiterentwickelt und kann jetzt, wie bei der DLA erwiesen, nahezu zwei Corona-Pistolen ersetzen. „Durch die Applikationstechnik ist der reine Beschichtungsprozess zweimal schneller als mit Corona und viermal schneller als bei Flüssiglack. Jährlich erreichen wir dadurch 20% mehr Output bei gleichem Zeitbudget“, fasst der Leiter der Oberflächentechnik zusammen.
Kapazitäten und Produktivität erhöhen
Das neu entwickelte Pulver-in-Pulver-Lacksystem, das bei Wirtgen zum Einsatz kommt, besteht aus dem Pulverprimer „W 812“ und dem Decklack „W 880“. Bei dem glänzenden, universell einsetzbaren Pulverprimer „W 812“ handelt es sich um einen speziellen Pulverlack auf Polyester-/Epoxidharz-Basis. Es ist für erhöhte Anforderungen an einen sehr guten Korrosionsschutz und gute Überlackierbarkeit geeignet. Der hochglänzende „W 880“- Pulverlack basiert auf Superdurable-Polyester und verfügt über eine sehr hohe Wetterbeständigkeit. Laut Hersteller Wörwag ist er vergilbungsfest, glanzbeständig und kreidungsfest und in weiß sowie in bunten Farbtönen lieferbar. Wie Reihs betont, „hat sich die Lackierung der Grundierung und des Decklacks mit Tribo bewährt, weil keine Vermischung von Grundierungs- und Decklackschichten und damit auch kein Glanzabschlag erfolgt.“ Das neue Trocken-in-Trocken-System läuft bereits in Serie – und hat die Lackierung beim Windhagener Baumaschinenhersteller förmlich revolutioniert, etwa durch die enorme Kapazitäts- und Produktivitätssteigerung, wie Kroheck betont: „Inzwischen werden bereits 25% der Bauteile bei Wirtgen mit diesem Lackaufbau beschichtet. Manche Großteile, wie z.B. gestrahlte Chassisrahmen, werden nun zu 50% im PiP-Verfahren in der Großteileanlage beschichtet. Bislang ist das neue PiP-Verfahren von Wörwag ausschließlich bei Wirtgen in Serie – doch bei anderen Kunden laufen bereits Versuche, das System ebenfalls einzusetzen. Durch die Entscheidung für eine neue Großteileanlage hatte der Baumaschinenhersteller bereits viel Energie eingespart, weil in Strahlanlage, Lackierkabinen und Öfen eine Wärmerückgewinnung integriert wurde. Mit dem PiP-Lacksystem entfällt für sämtliche Werkstücke nun ein kompletter Ofendurchlauf.
NUTZEN VON PiP
Für die Produktion:
- Reduktion der Prozessdurchlaufzeiten und insbesondere der Ofenverweilzeiten; daraus Energieeinsparung (Gas/Öl)
- Einsparung von Schleif- und Spachtelarbeiten mit den dazugehörigen Betriebsmitteln und deren Arbeitszeiten
- Reduktion der Pistolenanzahl und damit Senkung der Wartungskosten
- jährliche Produktionssteigerung um ca. 20%
Für die Beschichtung:
- es resultiert eine Pulverlackschicht „aus einem Guss“
- hoher, angemessener Korrosionsschutz des Gesamtlacksystems
- qualitativ deutlich höherwertiger als Einschichtpulver bei vertretbaren zusätzlichen Material- und Betriebskosten
- ein Lacksystem für „PiP“ und Zwischenaushärtung für die verschiedensten Teile und deren Vorbehandlung am Gesamtobjekt
Wirtgen GmbH, Windhagen, Johann Kroheck, Tel. +49 2645 131-0, info@wirtgen.de, www.wirtgen.de; Karl Wörwag Lack- und Farbenfabrik, Stuttgart, Jochen Reihs, Tel. +49 711 8296-1590, jochen.reihs@woerwag.de, www.woerwag.de;
Behr GmbH, Gelnhausen, Wolf Dieter Behr, Tel. +49 6051 61278, wdbehr@t-online.de, www.behr-oberflaechentechnik.de
Hersteller zu diesem Thema
Dann brauchen Sie mehr als aktuelle Internet-News - Sie brauchen die Fachzeitung BESSER LACKIEREN! Exklusive Interviews, Analysen und Berichte. Praxisbezogener Fachjournalismus. Umfassende Informationen. Digital oder gedruckt - So, wie Sie es brauchen.