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Mehr als nur Oberfläche: Funktionen im Fokus

Wolfgang Schaefer von der Freien Anwendungstechnik (FAS) hat langjährige Erfahrung in der Oberflächenbeschichtung im Automobilbereich. Er sieht vor allem drei Kernthemen, die in den nächsten Jahren immer wichtiger werden: das autonome Fahren, Carsharing und neue Funktionselemente.

Der Mobilitätswandel erweitert das Anwendungsfeld von Kunststoffen im Fahrzeug. Foto: Kunststoff-Institut Lüdenscheid
Der Mobilitätswandel erweitert die Kunststoff-Anwendungen. Foto: Kunststoff-Institut Lüdenscheid -

Die Veränderungen beruhen unter anderem auf dem stattfindenden Mobilitätswandel: Anfang 2019 fuhren 12,5% mehr Carsharing-Autos auf Deutschlands Straßen als ein Jahr zuvor, Tendenz weiter steigend. Weiterhin nimmt der Markt für Elektroautos zu, was sich in den Investitionen fast aller Autohersteller widerspiegelt. Diese Trends werden künftig auch Veränderungen und Anpassungen in der Lackiertechnik erfordern. Speziell in der Kunststoffbeschichtung ergeben sich einige Neuerungen:

Autonomes Fahren

Im Zuge des autonomen Fahrens ist das Auto zunehmend mit aufwändiger Sensorik ausgestattet, deren Signale die schützende Außenhaut idealerweise störungsfrei transmittiert. Kunststoffabdeckungen, sogenannte Radome, schützen diese Sensoren und integrieren sie unauffällig in das Außendesign. „Und hier wird es nun kompliziert, denn man will einerseits, dass Signale weder absorbiert noch gebrochen  oder gestreut werden und andererseits, dass Radome äußere Störungen abschirmen“, sagt Schaefer. Schon geringste Winkelfehler von 1° durch Radarreflexion resultieren in einen lateralen Fehler der Breite einer Autobahnspur in 100 m, wie Experten des Unternehmensbereichs Coatings der BASF auf der Fachtagung Kunststofflackierung des Kunststoffinstituts Lüdenscheid berichteten. Untersuchungen haben ge­zeigt, dass nicht nur die Substratdicke, sondern beim Lackaufbau jede einzelne Schichtdicke und ihre Zusammensetzung relevanten Einfluss auf die Signaldämpfung haben. Tendenziell führt eine höhere Anzahl der Schichten zu einem höheren Reflexionsanteil. „Schwarz ist für Radarstrahlung in der Regel gut durchlässig, Weiß in Mehrschichtaufbauten und Metallic-Lacke, vor allem Silberfarbtöne sind teils noch problematisch“, ergänzt Schäfer. Hinzu kommt, dass beim autonomen Fahren verschiedene Sensorsysteme zum Einsatz kommen, die sowohl auf Schall- als auch auf elektromagnetischen Wellen basieren und in unterschiedlichen Frequenzbereichen arbeiten. Diese unterschiedlichen Signalarten und -frequenzen spielen ebenfalls eine Rolle bei Transmission, Reflexion und Absorption durch das Radom. Das Reflexionsminimum soll im Zusammenspiel mit der jeweiligen Substratdicke im Bereich der jeweiligen Signalfrequenz liegen. Mögliche Einflussfaktoren sind neben der Schichtdicke des Klarlacks, Basislacks und Primers auch die Primer-Leitfähigkeit sowie die Pigmentierung und Applikation des Basislacks.

Color-Matching

Diese physikalischen Zusammenhänge führen zu unterschiedlichen Farbtonanforderungen und letztlich auch zu Grenzen im Color-Matching. „Das Farberscheinungsbild wird sich ändern, ebenso das Design von Heckpartien und Stoßstangen, damit die Sensorik geschützt eingebaut ist, aber auch messen kann“, so Schaefer und weiter: „Im ersten Schritt sind die Lackhersteller hinsichtlich der Formulierung gefordert. Neben Klarlacken werden auch Basislacke Funktionen erhalten müssen, die zur Reflexion und Absorption störender Strahlungseinflüsse wichtig sind.“ Betroffen von diesen Änderungen ist auch das End-of- Line-Testing (EoL-Testing), das in Zukunft nicht mehr allein ausreichen wird. Um in der Produktion Fehlerquellen bei der Fahrzeugsensorik von vornherein auszuschließen, sollten in jeder Stufe der Wertschöpfungskette konsequent niO-Prüfungen stattfinden. Dies beginnt bereits beim Lackhersteller, beispielsweise über Dämpfungs-und Reflexionsmessungen und setzt sich fort bis in die Lackschichtdickenmessungen der lackierten Bauteile. „Die gängigen Messverfahren im Mikrometerbereich bleiben bestehen, allerdings werden die Verfahrenstole­ranzen enger“, verdeutlicht Schaefer. „Zudem ist die Reparaturlackierung solcher Oberflächen derzeit noch nicht letztendlich geklärt. Kontrollmechanismen wie im OEM-Bereich fehlen bisher. Klare Regeln müssen auch im Schadensfall für Fahrzeughalter und Werkstätten aufgestellt und kommuniziert werden. Dies gilt nicht nur für die Kalibrierung der Sensorik unabhängig von der Reparaturart nach Instandsetzung, sondern auch für den Lackieraufbau generell.“

Carsharing – Abnutzungsgrade wie im ÖPNV

Carsharing ist einer der Gründe für die Entwicklung und Applikation neuer Lacksysteme. Foto: kenny2332 auf Pixabay

Carsharing ist einer der Gründe für die Entwicklung und Applikation neuer Lacksysteme. Foto: kenny2332 auf Pixabay

„Ein privater Pkw wird im Schnitt nur zwei Stunden pro Tag genutzt, Carsharing-Fahrzeuge idealerweise 24 h pro Tag. Die Belastungen der Oberflächen beim Carsharing sind daher exorbitant höher als beim eigenen Auto“, sagt Schaefer. Dies bringt hohe Anforderungen hinsichtlich der Hygiene, Robustheit und Schmutzresistenz im Fahrzeuginnenraum mit sich. Wie in Bus oder Bahn spielen auch beim Carsharing-Fahrzeug hygienische Oberflächen eine wichtige Rolle. Kunststoffe können hierfür mit antimi­krobiellen Lacken beschichtet werden. Solche Hygienelacke basieren auf der keimtötenden Wirkung von nanoskaligen Silberpartikeln. Befinden sich Bakterien, Viren oder Pilze auf der Oberfläche sorgen Silber­ionen für die Abtötung der Mi­kroorganismen. Um die Ansammlung von Schmutz zu vermeiden, wird auf fugenloses Fertigen gesetzt. „Jede Fuge ist eine po­tentielle Schmutz- und somit Keimquelle“, ergänzt Schaefer. „Möglicherweise werden die Bauteile zukünftig insgesamt größer und geometrisch komplexer.“  Der Design­fokus auf schwarze, glasartig anmutende Oberflächen in den Cockpit- und Konsolenbereichen wird den hohen Nutzungsgraden im Carsharing-Bereich nicht ge-recht. Die dunklen, glatten Oberflächen machen Finger- und andere Abdrücke schnell sichtbar.

Anti-Fingerprint

In anderen Anwendungs­bereichen, zum Beispiel bei Smartphones, fertigt man Touch-Screens mit speziellen Anti-Fingerprint-Beschichtun­gen. Die auf hydrophoben Nanobeschichtungen basierenden Funktionsschichten sind derzeit jedoch aufgrund von Qualitäts- und Kostengründen noch nicht in der Anwendungsreife. Daher wird sich hier die Entwicklung eher hin zu Beschichtungen mit mittleren Glanzgraden und Rauigkeiten bewegen, da diese grundlegend robuster und einfacher zu reinigen sind. „Das wird auch für die Lackierer einfacher. Im Gegensatz zur hochglänzenden Beschichtung fällt hier nicht sofort jedes kleinste Staubkorn auf, die Prozessaufwände könnten hierdurch positiv profitieren“, fügt Schäfer hinzu.

Funktionselemente

 Warum das wichtig wird

Der Automobilmarkt befindet sich im Wandel. Erhöhtes Umweltbewusstsein und eine grundlegend neue Einstellung zum fahrbaren Untersatz führen zu sich ändernden Ansprüchen der Nutzer. Im Fokus stehen dabei derzeit unter anderem die Tendenz hin zum Elektroautomobil,  autonomes Fahren sowie ein stetig wachsender Marktanteil an Car-Sharing-Modellen. Diese Trends bedingen nicht nur eine Veränderung im Materialmix der im Automobil zu verbauenden Komponenten, sondern auch eine Anpassung der zugehörigen Beschichtung. Neue Lacke müssen die neuen Anforderungen an den Korrosionsschutz abdecken – beispielsweise wenn beim Carsharing davon ausgegangen werden muss, dass Abnutzungsgrade erreicht werden, die mit denen des ÖPNV vergleichbar sind. Aber auch ein höheres Maß an Materialmix wird zukünftig von den Beschichtern – inklusive Matchingarantie – abzudecken sein.

Im Außenbereich wird aus Design- und Leichtbaugründen der Einsatz an Kunststoffen im Fahrzeug zunehmen. Dabei bietet speziell das Autodach diverse Entwicklungsmöglichkeiten für zusätzliche Funktionen. Solares Wärmemanagement beispielsweise steigert mithilfe IR-reflektierender Lacksysteme, wie „Chromacool“ von BASF, die Energieeffizienz des Autos. Sogar bei dunklen Lacken reduziert sich mithilfe der speziellen Lack- und Primer­formulierung die Erwärmung durch Sonnen­einstrahlung im Vergleich zu konventionellen Lacken um bis zu 20 °C. Ebenso verlangen transparente Kunststoffdächer nach IR-reflektierende Beschichtungen, um die kontinuierliche Kühlleistung bei Sommersonne zu verringern. Dies gilt insbesondere für Elektro­autos, bei denen jede Energieeinsparung eine Verlängerung der Reichweite bedeutet. Im Interieur wird statt Dreh- und Druckknöpfen mehr und mehr auf Touch-Funktionen gesetzt. Für eine solche Anwendung müssen Primer oder Decklack einen bestimmten Leitwert aufweisen. Um hier auch bei komplexer geformten Teilen wie einem Lenkrad Touch-Funktionen zu integrieren, finden vermehrt Verfahren wie das Reaction-Injection-Molding (RIM) Anwendung. „Es ist auch denkbar, dass zunehmend bereits montierte Baugruppen zur Lackierung, kommen. Dann sind teils Electrostatic Discharge (ESD)-fähige Lackieranlagen erforderlich. Zusätzlich ist dann auch der Ausschuss teurer, da das Bauteil mit vormontierten Komponenten bereits einen Teil der Wertschöpfungskette durchlaufen hat“, ergänzt Schaefer. „Zukünftig wird der Lackierer vermutlich mit weniger Stückzahlen, aber breiteren Anwendungen konfrontiert sein.“

Zum Netzwerken:
Freie Anwendungstechnik Schaefer (FAS), Buxtehude, Wolfgang Schaefer, Tel.: +49 4161 865 80 12, wolfgang.schaefer@service-fas.de, www.service-fas.de

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