Die hohe Kunst des Kunststoff-Lackierens

Bald wird bei Wessendorf in einer neuen Lackieranlage beschichtet. Fassadensysteme, Bodensysteme, Oberflächentechnik. In diesen drei Geschäftsfeldern ist die Wessendorf Systembeschichtungen GmbH in Emstek tätig. Wie kommt es zu so einer bunten Mischung? "Das ist in unserer Geschichte begründet", erzählt Geschäftsführer Franz Wessendorf. "Vor rund 140 Jahren wurde das Unternehmen als Malerbetrieb gegründet und im Laufe der Jahre sind weitere Bereiche dazugekommen."

Die Montagearbeiten für die Lackieranlage laufen auf vollen Touren. Fotos: Wessendorf -

Die Anfänge des industriellen Lackierens lassen sich bis in die 1990er-Jahre zurückverfolgen. Wessendorf lackierte u.a. Möbel und Interieur für Yachten und agiert seit 2006 schwerpunktmäßig im Bereich Kunststoffbeschichtung, überwiegend für Automobilzulieferer. „Wir definieren uns als Nischenlieferant für kleine und mittlere Serien in komplizierter Geometrie und haben uns darauf spezialisiert, individuelle Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln. Wir wollen dabei ‚nicht die Größten‘ sein, aber nach Möglichkeit ‚die Besten‘ und haben uns einen Namen für besondere Dinge in hoher Qualität erarbeitet.“

Automatisierung im Fokus

Aktuell erhalten die Werkstücke per Handlackierung ihre veredelte Oberfläche. Doch dies wird sich bald ändern, denn der Lohnbeschichter errichtet eine vollautomatische Roboter-Lackieranlage für die Beschichtung von Kunststoffteilen. 2013 hat er angefangen, darüber nachzudenken, wie er die Prozesssicherheit erhöhen und den Beschichtungsprozess automatisieren kann. „Es war eine intensive Zeit“, resümiert Franz Wessendorf. „Die Fragen lauteten: Was gibt es? Was passt zu uns? Wie müssen Technik und Anlage aussehen?“ Um Antworten zu finden, hat der Geschäftsführer zusammen mit drei Mitarbeitern Referenzanlagen mehrerer Anlagenbauer in ganz Europa angeschaut und „wir haben uns von allem das ‚für uns Beste‘ herausgesucht.“ 2016 fiel die Entscheidung, eine neue Anlage zu errichten, Anfang 2017 wurden die Verträge mit dem Anlagenbauer und dem Lieferanten für die automatisierte Farbapplikation geschlossen und im Oktober 2017 starteten die Bauarbeiten. Aktuell läuft die Installation der Anlagentechnik.

Die Lackierkabine wird mit einer Nassauswaschung ausgestattet, die hier mit der nach WHG beschichteten Grube zu erkennen ist.

Die Lackierkabine wird mit einer Nassauswaschung ausgestattet, die hier mit der nach WHG beschichteten Grube zu erkennen ist.

Die Montage der Zuluftdecke der Lackierkabine, rechts der Bedienraum, ganz rechts die Fenster zum Besuchergang.

Die Montage der Zuluftdecke der Lackierkabine, rechts der Bedienraum, ganz rechts die Fenster zum Besuchergang.

Kriterien für die Anlagenkonzeption

Hohe Beschichtungsqualität, größtmögliche Flexibilität für kleine und mittlere Chargen, hohe Qualität, schnelle Farbwechsel und viele Möglichkeiten, die Bauteile aus Kunststoff im Bearbeitungsprozess zu fixieren. So lauteten die wichtigsten Kriterien für die Anlage. Konzipiert ist sie für 1,80 m lange, 0,90 m breite und 1,20 m hohe Werkstücke, zu denen auch Bauteile mit integrierten Elektronikchips gehören können. „Wir stellen durch entsprechende Vorkehrungen sicher, dass wir in ESD-Qualität sicher lackieren können“, erklärt Franz Wessendorf. Dazu zählen unter anderem ein komplett eingehauster Prozess von der Vorbehandlung bis zum Austritt aus dem Kühltunnel, ein Bedienraum, der nur über Zugangskon­trolle und Personenschleuse zugänglich ist, sowie entsprechende Schutzbekleidung der Mitarbeiter. Die Skids für die Aufnahme der Bauteile entwickelt der Lohnbeschichter gerade. Um die Flexibilität sicherzustellen, sollen sie unterschiedlich teilbar sein und mit mehreren Fixiereinrichtung kombiniert werden können. „Wir wollen die Bauteile zudem stehend oder auch liegend fördern können.“ Ein P+F-Bodenkreisförderer, der mit entsprechenden Drehtellern ausgestattet und zur ergonomischen Bestückung im Bereich der Auf- und Abgabe abgesenkt ist, transportiert die Skids durch den Prozess. Für ein Höchstmaß an Sauberkeit öffnen sich jeweils zum Ein- oder Ausfahren in die Anlage die automatischen Türen zu der sonst komplett geschlossenen Anlage.

ZEITSCHIENE
  • 2013: Erste Überlegungen zur Verbesserung der Prozesssicherheit und Automatisierung
  • 2014-2015: Besichtigung von Referenzanlagen mehrerer Anlagenbauer in ganz Europa
  • 2016: Entscheidung für den Bau einer neuen Lackieranlage einschließlich Gebäude
  • Anfang 2017: Vertragabschlüsse mit dem Anlagenbauer und dem Lieferanten für die automatisierte Farbapplikation
  • Oktober 2017: Start Bauarbeiten
  • März 2018: Start Installation der Anlagentechnik
  • August 2018: geplanter Produktionsstart

Die Beschichtung umfasst folgende Prozessschritte, die sich jeweils in einer separaten Kabine befinden: Vorreinigung, CO2-Reinigung, Beflammen, Ionisierung, Lackierung, Abdunstzone, Trocknen und Kühlen. Im Bedarfsfall ermöglicht die Förderanlage durch zwei parallel laufende Transportschienen unterschiedliche Geschwindigkeiten und Verweilzeiten im Trockner. In den Kabinen, in der Abdunstzone sowie im Ofen hat der Lohnbeschichter diverse Möglichkeiten zum Drehen der Skids vorgesehen. Mit Blick auf die Zukunft hat er auch weitere Ausbauschritte der Anlage berücksichtigt. So ist bereits jetzt eine zweite, aber noch nicht voll ausgestattete Lackierkabine integriert und zwischen Abdunstzone und Trockner kann noch ein UV-Trockner installiert werden. Erfüllt die Nasslackierung die Anforderungen der Bundesimmissionsschutzverordnung? „Nein, weil wir das aus heutiger Sicht noch nicht brauchen. Anlagentechnisch entspricht es aber schon der neuesten Verordnung und wir haben auch alles vorbereitet.“ Durch schon vorab intensive Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden und entsprechende Vorkehrungen für die Installation einer Thermischen Nachverbrennung wird diese Technik im Endausbau als eine sehr zeitgemäße Lackieranlage nach neuesten BImSch-Richtlinien mit vier Robotern gelten.

DIE ANLAGE AUF EINEN BLICK
  • Max. Teilegröße: 1,80 x 0,90 x 1,20 m (L x B x H)
  • Prozessschritte: Vorreinigung, CO2-Reinigung, Beflammen, Ionisierung, Lackierung, Abdunstzone, Trocknen und Kühlen
  • Besonderheiten: Lackieren in ESD-Qualität, Vorrüstung für 2. Roboterlackierung, Thermische Nachverbrennung in 2. Ausbaustufe, Besuchergang mit Video-Übertragung, Manufaktur für Kleinst­serien, Prototypen und Spare Parts

„Manufaktur“ bleibt erhalten

Bis auf die Räume für Lacklagerung, -anmischung und -austragung ist die Technik in einer zweiten Ebene über der Beschichtungsanlage installiert, einschließlich des Platzes für die Zu- und Ablufttechnik der zweiten Lackierkabine. Will der Lohnbeschichter nach Inbetriebnahme nur noch automatisiert beschichten? Franz Wessendorf schüttelt den Kopf. „Nein, wir werden auch weiterhin von Hand lackieren und den Bereich sogar als Schmuckkästchen zur ‚Manufaktur‘ für Kleinstserien, Prototypen und Spare Parts umbauen.“ Damit Kunden sich den Lackierprozess anschauen können, ohne Schmutz in die Anlage zu tragen, verfügt der gesamte Bereich über einen Besuchergang. Er verläuft parallel zum Bedienraum und bietet über große Fenster Einblick in alle Prozessschritte. Für Detailinformationen wird es in allen Anlagebereichen Kameras geben, deren Aufnahmen auf entsprechende Bildschirme im Besuchergang übertragen werden. Den Abschluss der Besichtigung bildet ein Besuch der Manufaktur und des Montagebereichs. „Damit unterstreichen wir unsere Kompetenz des ‚to do‘ und lassen erkennen, von wo wir kommen“, sieht sich Franz Wessendorf in der Abbildung des Geschäftsmodells bestätigt. Im Juli 2018, so die Planung, sollen die Probeläufe starten und die ersten Werkstücke beschichtet werden. Über die Automatisierung und die Roboterapplikation berichtet BESSER LACKIEREN in der nächsten Ausgabe.

Zum Netzwerken:
Wessendorf Systembeschichtungen GmbH, Emstek, Franz Wessendorf, Tel. +49 4473 9495-14, f.wessendorf@wessendorf.info, www.wessendorf.info

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