Vollautomatische Lackierzelle für Industrie 4.0-Produktion

Viele Unternehmen setzen Industrie 4.0 dafür ein, um eine größere Komplexität in der Produktion zu gewährleisten und Produkte in kleiner Stückzahl – bis Losgröße 1 – zu fertigen. Für die Lackiertechnik ist es aktuell jedoch noch sehr aufwändig, vollautomatische Lackierprozesse zu programmieren. Im Projekt "SelfPaint" entwickeln die Fraunhofer-Institute IPA, ITWM und FCC dazu aktuell eine selbstprogrammierende Lackierzelle.

 Abbildung 1 zeigt die einzelnen Module der automatischen Lackierzelle und und veranschaulicht den Prozessablauf von "SelfPaint" am Beispiel eines Stuhls. -

Eine schnelle Reaktion bei der Bahnplanung von robotergeführten Lackzerstäubern auf variierende Bauteilpositionen und große Produktvielfalt ist aus Sicht des aktuellen Entwicklungsstands in der Lackiertechnik noch nicht möglich. Bei niedrigen Stückzahlen und der damit oftmals verbundenen undefinierten Positionierung in der Lackierkabine ist der Aufwand zur Errichtung einer automatisierten Lackierung derzeit zu hoch. Eine ungenaue Positionierung der zu lackierenden Bauteile in Verbindung mit einer unflexiblen robotergestützten Lackierung führt zu erhöhtem Overspray und Abweichungen in der Zielschichtdicke. Ziel des Fraunhofer-internen Forschungsprojekts „SelfPaint“ ist es, in den nächsten zwei Jahren eine Lackierzelle zu entwickeln, welche die Objekte und deren Position selbständig erfasst, die Roboterbahn und Lackierprozessparameter online optimiert und die lackierte Schichtdicke über ein berührungsloses Schichtdickenmesssystem selbständig überwacht. Das Resultat der angestrebten flexiblen vollautomatisierten Lackierung ist die Reduktion von Overspray und damit verbunden die Reduzierung von Lack- und Energieverbrauch bei zugleich höherer Komplexität des Beschichtungsprozesses.

Abbildung 2 stellt die multiphysikalische Simulation eines Hochrotations­zerstäubers mit Außenaufladung zur Berechnung der Tropfenflugbahn am Beispiel einer Volvo V60-Karosserie dar.

Abbildung 2 stellt die multiphysikalische Simulation eines Hochrotations­zerstäubers mit Außenaufladung zur Berechnung der Tropfenflugbahn am Beispiel einer Volvo V60-Karosserie dar.

Abb. 3: Berührungslose Schichtdickenmessung an verschiedenen Positionen am lackierten Blech im nassen und ausgehärteten Zustand. Während der Aushärtung schrumpft die Schichtdicke des Lacks; die Lackierstruktur bleibt jedoch erhalten.

Abb. 3: Berührungslose Schichtdickenmessung an verschiedenen Positionen am lackierten Blech im nassen und ausgehärteten Zustand. Während der Aushärtung schrumpft die Schichtdicke des Lacks; die Lackierstruktur bleibt jedoch erhalten.

Optimierte Bahnführung und Applikationsparameter

Die einzelnen Module der automatischen Lackierzelle sind ein optischer 3D-Scan der zu lackierenden Objekte, eine computergestützte Lackieroptimierung sowie eine berührungslose Schichtdickenmessung (Abb.1). Die vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM entwickelte 3D-Scan Technologie erkennt zuverlässig Objekte und deren Teileträger und kann deren Position in der Lackierzelle genau angeben. Auf Basis dieser Information kann die vom Fraunhofer-Chalmers Centre for Industrial Mathematics FCC in Göteborg programmierte Software eine optimierte Bahnführung sowie Applikationsparameter berechnen. Die Simulations- und Optimierungssoftware (IPS Virtual Paint) berechnet dabei die Flugbahn der Lacktröpfchen vom Zerstäuber bis zur Abscheidung auf dem Lackierobjekt (Abb.2), woraus eine Schichtdickenverteilung erzeugt wird.

Moderne Messverfahren

Über intelligente Algorithmen und mittels präziser Strömungssimulation können optimierte Lackierbahnen online im Beschichtungsprozess ermittelt werden. Die Schichtdicke des mit der optimierten Bahn lackierten Objekts kann anschließend berührungslos mit einem Schichtdickenmessgerät auf Basis der Terahertz-Technologie vermessen werden, welches ebenfalls vom Fraunhofer ITWM entwickelt wurde.

Abbildung 4: Untersuchung der Tröpfchengeschwindigkeit mittels Laser­doppler-Anemometrie an einem Hybrid-Zerstäuber(li) und Multiphysikalische Simulation (re).

Abbildung 4: Untersuchung der Tröpfchengeschwindigkeit mittels Laser­doppler-Anemometrie an einem Hybrid-Zerstäuber(li) und Multiphysikalische Simulation (re).

Ergebnisse zeigen, dass mit dieser Technologie zuverlässig die Schichtdicken sowohl von nassem, wie auch gehärtetem Lack ermittelt werden können (Abb. 3). Die Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA entwickeln das Modell für den Zerstäubungsprozess und nutzen dabei moderne optische Messverfahren, wie Laserdoppler-Anemometrie und Laserbeugung zur Validierung der Simulationen. Insbesondere über gezielte experimentelle Untersuchungen in Zusammenhang mit numerischer Strömungsmechanik kann ein tiefes Verständnis für das Wechselspiel zwischen Rheologie, Lackzusammensetzung, Applikationsparametern und physikalischen sowie chemischen Lackeigenschaften erarbeitet werden. Dadurch können Eingangs- und Validierungsgrößen für das im Projekt „SelfPaint“ verwendete Simulationsmodul reduziert und optimiert werden. Das Fraunhofer IPA bildet dadurch eine wichtige Schnittstelle zwischen den experimentellen Untersuchungen im Technikumsmaßstab (Abb.4) links sowie der Theorie und Modellentwicklung für die numerische Strömungsmechanik (Abb.4) rechts im Lackierprozess.

Flexibel auf variierende Teilevielfalt reagieren

Die vollautomatisierte Lackierzelle, bestehend aus den einzelnen oben genannten Modulen, soll es ermöglichen, auf variierende Teilevielfalt im Lackierprozess zu reagieren und automatisierte Lackierungen bis hin zu Losgröße 1 zu realisieren. Die Innovation, welche am Ende des Projekts im Rahmen eines Demonstrators am Fraunhofer IPA vorgestellt wird, richtet sich an zahlreiche Branchen und Einsatzfelder, insbesondere aber die Automobil- und Möbelindustrie.

PROJEKT SELFPAINT

In dem Fraunhofer-internen Forschungsprojekt „SelfPaint“ – Selbstprogrammierende Lackierzelle werden die Kompetenzen des Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart, des Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern und des Fraunhofer-Chalmers Research Centre for Industrial Mathematics FCC in Göteborg vereint, um eine innovative Lackierzelle zu entwickeln, die ab der Los­größe 1 in einem Massenproduktionsumfeld gerecht wird. Das Projekt läuft seit dem 1. Februar 2016 bis 31. Januar 2019 und wird von Experten aus Wissenschaft und Industrie begleitet. Projektleiter am ITWM ist Dr. Joachim Jonuscheit ( joachim.jonuscheit@itwm.fraunhofer.de) und am FCC Prof. Dr. Fredrik Edelvik ( fredrik.edelvik@fcc.chalmers.se). Koordiniert wird das Projekt am IPA von Dr. Oliver Tiedje ( oliver.tiedje@ipa.fraunhofer.de).

Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, Dr. Michael Hilt, Tel. + 49 711 970-3820, michael.hilt@ipa.fraunhofer.de; Nico Güttler, Tel. +49 711 970-1350, Nico.Guettler@ipa.fraunhofer.de, www.ipa.fraunhofer.de/beschichtung

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