Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen

Ein höherer Automatisierungsgrad, mehr Kapazität, weniger Kosten: Das sind einige der Mehrwerte, die mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz oder maschinellem Lernen in Produktionen einhergehen. Doch worum geht es bei den Technologien überhaupt?

Simulation der turbulenten Drallströmung eines Hochrotationszerstäubers. Grafiken: Fraunhofer IPA
Simulation der turbulenten Drallströmung eines Hochrotationszerstäubers. Grafiken: Fraunhofer IPA -

Die Aufmerksamkeit, die den Themen künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) momentan gewidmet wird, erweckt den Eindruck, es handele sich um brandneue Technologien. Dabei reichen erste Anfänge der Technologie bis in die 1950er-Jahre  zurück. Erst seit einigen Jahren sind jedoch die technischen Voraussetzungen vorhanden, um ML in industrielle Anwendungen zu bringen. Hierzu gehört zuvorderst die Digitalisierung und die zunehmende Vernetzung von Produktionsmaschinen im Kontext von Industrie 4.0, verbunden mit leistungsstarken Sensoren und hoher Rechenkapazität. Letztere ist nötig, um die große Menge erzeugter Daten zu verarbeiten und auszuwerten. Es gibt drei Methoden maschinellen Lernens: Beim überwachten Lernen liegen dem Algorithmus Eingabe- und Ausgabedaten vollständig vor. Konkret heißt das: Wenn bspw. ein Bild mit einer Katze erkannt werden soll, muss der Algorithmus vorher hunderte Bilder mit dem Label „Katze“ gesehen haben, um zu wissen, ob er ein ungesehenes Bild als Katze klassifizieren soll. Beim unüberwachten Lernen stehen nur die Eingabedaten bereit und der Algorithmus erzeugt selbstständig sogenannte Cluster, also Merkmalsgruppen. Die dritte Methode ist das Verstärkungslernen (reinforcement learning): Hier erhält der Algorithmus ein Belohnungssignal, um schrittweise besser zu werden.

Beispiel für neuronale Netze

Kombination von physikalischen Simulationen und ML zur Erstellung eines Modells für den Wirkungsgrad eines Lackzerstäubers in Abhängigkeit der Zerstäubungsparameter.

Kombination von physikalischen Simulationen und ML zur Erstellung eines Modells für den Wirkungsgrad eines Lackzerstäubers in Abhängigkeit der Zerstäubungsparameter.

Das häufigste Verfahren beim ML ist Deep Learning. Es nutzt tiefe künstliche neuro­nale Netze, um Erkenntnisse aus Daten zu gewinnen. Die Arbeitsweise künstlicher neuronaler Netze orientiert sich an den Vorgängen im menschlichen Gehirn. Das typischste Anwendungsbeispiel ist aktuell die bereits erwähnte Bildverarbeitung. Anhand von einzelnen Pixeln kann ein neuronales Netz nach diversen Rechenschritten ausgeben, um welches Objekt, also welche Klasse, es sich handelt. Voraussetzung für diese automatische Auswertung von Daten ist, dass das neuronale Netz trainiert wird. Hierzu wird die Stärke der einzelnen Verbindungen zwischen den Neuronen so angepasst, dass das Netz möglichst wenig Fehler bei der Zuordnung der Daten zu einer Klasse macht. Zur Anpassung der Verbindungsstärke, die oftmals als „Gewicht“ bezeichnet wird, kommen spezialisierte mathematische Optimierungsverfahren zum Einsatz. Für ein gutes Training des Netzes muss es eine Vielzahl an Eingabedaten, also beispielsweise gelabelte Bilder, erhalten, und für diese muss zunächst ein Mensch die richtige Ausgabeinformation angeben. Praktischerweise gibt es bereits umfangreiche Bilddatenbanken mit gelabelten Daten, z.B. ImageNet, sodass grundlegendes Trainingsmaterial vorhanden ist.

Anwendungsbeispiele für die Produktion

Automatisierte, virtuelle Erzeugung von Lackierprogrammen.

Automatisierte, virtuelle Erzeugung von Lackierprogrammen.

ML bietet viele Einsatzmöglichkeiten in Produktionen. Schon die Produktionsplanung und der Aufbau von Anlagen können perspektivisch automatisierter und schneller ablaufen. Eine Inbetriebnahme innerhalb weniger Tage ist hier die Vision. Ist die Produktion am Laufen, sollen die Erzeugnisse gut sein. Aktuell erfährt ein Produktionsleiter erst am Ende, welche Qualität ein Erzeugnis hat und ob der Prozess stets funktioniert. Effektiver wäre es, dies bereits im Produktionsverlauf zu wissen und bei Bedarf direkt Produktionsparameter ändern zu können. Auch hierfür wird ML eine wichtige Rolle spielen. Ein weiteres Thema für ML-Methoden ist „Predictive Maintenance“, die vorausschauende Instandhaltung, bei der zum genau richtigen Zeitpunkt Komponenten ausgetauscht und somit Stillstände verhindert werden. Hinzu kommen neue Geschäftsmodelle auf Basis aller verfügbaren Daten. Ein Beispiel ist das Verkaufen einer Dienstleistung anstelle einer Maschine. Der Kunde mietet die Maschine und bezahlt, was er genutzt hat. Das funktioniert aber wiederum nur, wenn der Hersteller ein bestimmtes Servicelevel sicherstellen kann, beispielsweise eine Verfügbarkeit von 99%. Datenanalysen und ML helfen Ausrüstern dabei, vorhersagen zu können, dass die Maschine wie gefordert funktionieren wird. Oder ein Unternehmen verkauft seine Maschinen an mehrere Kunden und erhält über die Datenanalyse Informationen über die jeweilige Produktionsleistung im Vergleich zum Wettbewerber. So könnte der Hersteller auch ins Beratungsgeschäft einsteigen.

Transparenz der Ergebnisse
Noch liegt die Funktionsweise der meisten ML-Verfahren nur als „Black Box“ vor. Man gibt Daten in den Algorithmus und erhält Ergebnisse, aber es ist nicht nachvollziehbar, wie das Ergebnis zustande kommt. Aus der Black Box muss also bestenfalls eine „White Box“ werden. Dies ist aus mehreren Gründen entscheidend. So verlangt die neue Datenschutzgrundverordnung, dass Personen bei einer automatisierten Entscheidungsfindung informiert werden müssen, wie diese Entscheidung zustande kam. Noch grundsätzlicher wird eine Expertenkommission der Europäischen Kommission, die im April 2019 „Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI“ vorgelegt hat. Erklärbarkeit ist darin eines von vier zentralen Kriterien. Bei sicherheitskritischen Anwendungen wie dem autonomen Fahren oder Medizinanwendungen geht es um Haftungsfragen. Und auch die Entwickler selbst können ihre eigenen Methoden besser verstehen und bei fehlerhaftem Einsatz korrigieren. Letztlich ist das Vertrauen der Anwender in KI und ML ein entscheidendes Kriterium dafür, wie sehr die neue Technologie akzeptiert und eingesetzt wird. Schließlich kann KI auch unliebsame Entscheidungen treffen, die im Falle ausreichenden Vertrauens eher akzeptiert werden.

In der Lackiertechnik stellt der Beschichtungsprozess ein interessantes und herausforderndes Beispiel für den Einsatz von ML-Algorithmen dar, denn viele Daten aus dem Prozess, zum Beispiel zur Applikationstechnik, Verfahrenstechnik oder Fördertechnik, werden oft ohnehin schon erfasst. Sie werden aber bisher wenig genutzt. Auch Qualitätskenndaten wie Schichtdicke oder Lackierfehler werden zunehmend automatisiert erfasst, u.a. über Messungen der Schichtdicke mittels Terahertz-Strahlung oder Ultraschall und über Lackierfehlerkontrollen mittels Deflektometrie. Weil allerdings die technischen und chemischen Prozesse interagieren, sind die Zusammenhänge komplex und die Datenbasis ist oft recht klein, zumal die Eingangsparameter in einer automatisierten Produktion selten variiert werden. Daher können numerische Simulationen des Lackierprozesses das überwachte Lernen anhand der „Realität“ ergänzen, um gezielt die Datenlücken in der Lerngruppe zu schließen. Umgesetzt wurde diese Kombination aus numerischer Simulation (Grafik 1) und tatsächlicher Anwendung für den Einsatz eines Lackzerstäubers. Die Ergebnisse zeigten, wie Applikations- und Qualitätsgrößen zusammenhängen und welchen Einfluss der Lackzerstäuber auf den Wirkungsgrad hat (Grafik 2).

Automatisierte Programme

Ein anderes Beispiel sind automatisiert erzeugte Lackierprogramme, da in vielen Branchen die Variantenvielfalt von Lackierobjekten das Erstellen von Roboterprogrammen unwirtschaftlich macht und somit weiterhin manuell beschichtet wird.  Prozesssimulationen und ML-basierte Optimierungsalgorithmen er­möglichen, ein Lackierprogramm zu erzeugen, ohne dass ein Bauteil real existiert und Beschichtungsversuche nötig sind (Grafik 3). Derzeit wird dieses Lackierprogramm in der Praxis getestet und optimiert, aber es ist abzusehen, dass der Prozess zukünftig vollautomatisch ablaufen kann.

2018 ist am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA das Zentrum für Cyber Cognitive Intelligence (CCI) eröffnet worden. Das CCI treibt mit angewandter Forschung den Einsatz maschineller Lernverfahren in industriellen Produktionsprozessen voran, indem es Wissen und Technologien in die Praxis überträgt. Bedarfsgerecht unterstützt es vor allem kleine und mittelständische Unternehmen bei allen Fragen zum Thema ML für die Produktion und der Erprobung und Umsetzung maßgeschneiderter, skalierbarer Lösungen.
www.ipa.fraunhofer.de/cci

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Zum Netzwerken:
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart,
Dr. Michael Hilt,Tel. + 49 711 970-3820, michael.hilt@ipa.fraunhofer.de,
Dr. Oliver Tiedje,Tel. + 49 711 970-1773, oliver.tiedje@ipa.fraunhofer.de,
Prof. Dr.-Ing. Marco Huber,Tel. + 49 711 970 1960, marco.huber@ipa.fraunhofer.de,
www.ipa.fraunhofer.de/beschichtung

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